«Den Unternehmen eine starke Stimme geben»

    Beat Bechtold, neuer Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer AIHK, setzt sich für eine offene und somit wettbewerbsfähige Schweiz und damit für die Anliegen der Wirtschaft im Aargau ein. Als grosse Herausforderungen erachtet er – nebst der Bewältigung der aktuellen Corona-Krise – unnötige Regulierungen, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen sowie dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Hier spricht er über die Begrenzungsinitiative, deren Annahme für die Aargauer Unternehmen schwerwiegende Folgen hätte, sowie die Schweizer Wirtschaftspolitik als Erfolgsmodell.

    (Bild: AIHK) Beat Bechtold, neuer Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer AIHK: «Die Schweiz muss offenbleiben, denn sie hängt zu stark von Exporten, Importen und der Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten ab.»

    Sie sind seit rund sechs Monaten im Amt als neuer Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer AIHK. Welche Bilanz können Sie ziehen?
    Beat Bechtold: Die Bilanz nach sechs Monaten fällt erwartungsgemäss positiv aus, auch wenn der Einstieg aufgrund der Corona-Pandemie natürlich anders verlaufen ist als geplant. Was ich bei der AIHK angetroffen habe, ist ein gut aufgestelltes, effizientes Team und tragende Beziehungen zu Wirtschaft, Politik und anderen Verbänden. Das hat uns gerade während der Pandemie sehr geholfen. Zum einen konnten wir unsere Mitglieder laufend informieren und ihnen Instrumente zur Verfügung stellen, die sie während der Pandemie unterstützt haben. Zum anderen konnten wir die Anliegen der Wirtschaft in diversen Gremien und auch beim Aargauer Regierungsrat aktiv einbringen.

    Ihr Vorgänger Peter Lüscher legte grossen Wert auf konkrete Dienstleistungen für die Mitglieder der AIHK, die er kontinuierlich ausbaute. Welche Prioritäten setzen Sie?
    Ich halte an dieser Strategie fest, zumal sich zeigt, dass unsere Mitglieder diese konkreten Dienstleistungen, z.B. unsere Rechtsberatung, sehr schätzen. Nicht alle Unternehmen haben eigene Juristen im Haus und können so schnell und unkompliziert zu kompetenten juristischen Auskünften kommen. Wir sind auch im Export stark in der Beratung und unsere Ausgleichskasse geniesst einen sehr guten Ruf. Ergänzend zu diesen Dienstleistungen haben die letzten Monate deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass wir den Unternehmen eine starke Stimme geben und uns für die Anliegen der Wirtschaft einsetzen. Das ist ein Bereich, den ich noch weiter ausbauen möchte.

    Die letzten Monate waren Corona-bedingt turbulent. Die Aargauer Regierung hat ein 300 Millionen Franken-Paket geschnürt für Nothilfe und Liquiditätssicherung für die Aargauer Unternehmen. Hat dieser finanzielle Rettungsring bis jetzt Schlimmeres verhindern können?
    Es war richtig und wichtig, dass Bund und Kanton Hilfspakete geschnürt haben. Viele Unternehmen, insbesondere kleinere Firmen hätten den Lockdown ohne diese Massnahmen nicht überstanden. Von vielen Unternehmern höre ich, dass ein regelrechter Nachfrageeinbruch stattgefunden hat. Dies wiederum führt bei den Unternehmen zu Absatz- und Umsatzeinbussen. Insbesondere die Kredite müssen aber zurückgezahlt werden, was nur funktioniert, wenn Geld verdient werden kann. Auf der anderen Seite müssen aber auch die Hilfspakete – insbesondere die nicht rückzahlbaren Soforthilfen – finanziert werden, es gilt darum, nur so viel wie nötig an Steuergeldern auszugeben. Ein Einsatz mit Bedacht ist gefragt und kein Giesskannenprinzip.

    Wie stark hat Corona die Aargauer Wirtschaft ausser Kurs gebracht?
    Corona hat uns alle in jeder Hinsicht gefordert. Auch wenn die ursprünglich sehr düsteren Wirtschaftsprognosen besseren Aussichten gewichen sind, so wird Corona noch länger Spuren hinterlassen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Ich gehe davon aus, dass mit einer zeitlichen Verzögerung von 6 bis12 Monaten branchenspezifisch mit sinkenden Umsätzen, Mindereinnahmen und Gewinneinbrüchen zu rechnen ist.

    Wie unterstützt die AIHK die Aargauer Unternehmen?
    Wir setzen uns auf verschiedene Weise für die Anliegen der Wirtschaft und unserer Mitglieder ein. Wir publizieren Studien, Berichte und Meinungen, um auf Themen rund um den Wirtschaftsstandort Aargau aufmerksam zu machen. Wir sind in die politische Debatte involviert, in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Gremien aktiv und bringen so die Anliegen der Aargauer Unternehmen ein. Und wir bieten im Alltag konkret Hand, z.B. durch Rechtsberatung oder unsere Exportdienstleistungen. Während des Lockdowns war unsere Rechtsberatung stark gefordert. Wir haben sie inzwischen ausgebaut, um unsere Mitglieder zeitnah juristisch zu beraten und so zu mehr Rechtssicherheit in dieser ausserordentlichen Lage beizutragen.

    Der Aargau ist Spitzenkanton, wenn es um den Export geht. Fast ein Drittel aller Beschäftigten sind in der Exportbranche tätig. Wie stark gefährdet die Begrenzungsinitiative, worüber am 27. September 2020 abgestimmt wird, die Wettbewerbsfähigkeit des Kantons?
    Die Annahme dieser Initiative hätte gerade für einen so starken Export-Kanton wie den Aargau schwerwiegende Folgen. Die Kündigungsinitiative bedeutet faktisch das Ende des erfolgreichen, bilateralen Wegs der Schweiz: Das Freizügigkeitsabkommen, das mit Annahme der Initiative ausser Kraft gesetzt oder letztlich wohl eher gekündigt werden müsste, würde aufgrund der Guillotine-Klausel automatisch zum Wegfall der übrigen sechs Abkommen der Bilateralen Verträge I führen. Für die Schweiz würde damit der Zugang zum EU-Binnenmarkt und auch der Zugang zu fehlenden Fachkräften wegfallen. Das gilt es unbedingt zu verhindern, denn damit würde unsere Wirtschaft den vereinfachten Zugang zum wichtigsten Fachkräfte- und Absatzmarkt verlieren. Über die Hälfte der exportierten Waren und Dienstleistungen werden in EU-Staaten verkauft.

    In aller Mund ist momentan die Konzernverantwortungs-Initiative. Braucht es solch klare Regeln, damit sich künftig alle transnationalen Konzerne vernünftig verhalten?
    Es braucht strengere Regeln zur Respektierung von Menschenrechten und Umwelt in der Lieferkette, zweifellos. Aber: Die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative verlangt von Schweizer Unternehmen eine praktisch grenzenlose Sorgfaltsprüfungspflicht in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards. Diese erstreckt sich über die gesamte weltweite Lieferkette, also sämtliche Zulieferer sowie deren Zulieferer. Ähnlich grenzenlos wäre die Haftung der Schweizer Unternehmen. Es ist klar, dass die Annahme der Initiative zu Klagewellen und Klagedrohungen gegen Schweizer Unternehmen führen würde. Die AIHK unterstützt den Gegenvorschlag des Ständerats, obwohl auch dieser sehr weit geht. Entscheidend ist, dass der Gegenvorschlag auf einen Mix von international erprobten Instrumenten setzt und keinen Alleingang der Schweiz darstellt. Mit der damit verbundenen Einführung von umfassenden Rechenschafts- und Sorgfaltsprüfungspflichten würde die Schweiz international zu den am weitesten regulierten Ländern im Bereich der Unternehmensverantwortung gehören. Der Gegenvorschlag schafft Verbindlichkeit für die Unternehmen, ohne diese missbräuchlichen Klagen auszuliefern.

    Es ist zentral, dass die Betriebe trotz Corona-Krise weiterhin Schulabgänger einen Ausbildungsplatz geben. Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass es einen Rückgang an Ausbildungsplätzen gibt?
    Im Bereich Berufsbildung haben wir verschiedene Herausforderungen. Um den Fachkräftemangel nicht noch zu verschärfen, ist es wichtig, dass Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger im Arbeitsmarkt Fuss fassen und Berufserfahrung sammeln können. Auf der anderen Seite ist es zentral, dass Betriebe trotz Corona-Pandemie neuen Lernenden einen Ausbildungsplatz anbieten. Verpassen wir beides, droht ein noch akuterer Fachkräftemangel. Was die Lehrstellen betrifft, so zeigen die aktuellen Zahlen im Kanton Aargau, dass bislang anteilsmässig etwa gleich viele Lehrverträge abgeschlossen wurden wie in den Vorjahren. Das ist sehr erfreulich. Es zeigt sich allerdings, dass sich – unabhängig von der Pandemie – ein weiterer Trend fortsetzt: Im Lehrstellenmarkt stimmen Angebot und Nachfrage nicht überein. Vor allem im Gewerbe (z.B. im Bau, Gastronomie, Lebensmittelbranche, Coiffeure) haben Betriebe grosse Schwierigkeiten, Lernende zu finden.

    Was sind – mal abgesehen von Corona – Herausforderungen für die Aargauer Wirtschaft?
    Die Schweizer Wirtschaftspolitik ist ein Erfolgsmodell. Es basiert auf liberalen Rahmenbedingungen sowie einer starken internationalen Vernetzung. Selbst in der Corona-Pandemie hat die Schweiz in vielerlei Hinsicht einzigartige Lösungen und schnell wirkende Massnahmen ergreifen können, z.B. die unkomplizierte Kreditvergabe zur Sicherstellung der Liquidität von Unternehmen. Dieses Erfolgsmodell gilt es um jeden Preis zu bewahren – resp. nach Corona wieder zu stabilisieren. Die Schweiz muss offenbleiben, denn sie hängt zu stark von Exporten, Importen und der Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten ab. Dafür braucht es Zugang zu anderen Märkten und ausländischen Arbeitskräften. Gefordert sind sowohl die Unternehmen als auch die Politik. Die Politik sollte den internationalen Handel fördern, indem sie z. B. das Netz an Freihandelsabkommen ausbaut oder den bilateralen Weg mit der EU stärkt. Nur wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft längerfristig positiv beeinflussen können, werden wir den Wohlstand wahren können.

    Interview: Corinne Remund


    ZUR PERSON

    Beat Bechtold ist seit dem 1. Januar 2020 neuer Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer (AIHK). Der 43-jährige Staatswissenschaftler war zuvor als Geschäftsführer des Nuklearforums Schweiz in Olten tätig. Davor leitet er das Berner Büro einer internationalen PR-Agentur, war beim Eidgenössischen Finanzdepartement als stellvertretender Sektionschef tätig und baute an der Executive School der Universität St. Gallen (HSG) einen Weiterbildungskurs für Politiker auf. Beat Bechtold studierte an der Universität St. Gallen, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Er ist in Mägenwil aufgewachsen und lebt mit seiner Familie in Birr. Beat Bechtold engagiert sich zudem in der Politik und in der Schweizer Armee.

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