«Der Aargau ist für mich ein spannendes Entdeckungsgebiet!»

    Joana Filippi ist seit dem 1. August 2021 Aargauer Staatsschreiberin und Co-Leiterin Energie-Taskforce Aargau. Während der Pandemie ist sie auf einen rollenden Zug aufgesprungen und hat schon zahlreiche Herausforderungen gemeistert. Mit viel Fingerspitzengefühl agiert sie in ihrem Amt. Dabei gehört auch das Managen der Energiekrise dazu. Hier ist der Kanton Aargau, der als Energiekanton zu den Taktgebern gehört, gut vorbereitet.

    (Bilder: zVg) Joana Filippi, Aargauer Staatsschreiberin – seit eineinhalb Jahren im Amt: «Ich äussere mich, wenn ich das Gefühl habe, ein wichtiger Aspekt sei übersehen worden oder vergessen gegangen.»

    Sie sind seit dem 1.August 2021 Aargauer Staatsschreiberin. Wie gefällt Ihnen Ihr Amt?
    Joana Filippi: Als Staatsschreiberin leite ich die Staatskanzlei. Sie bietet dem Regierungsrat Führungsunterstützung. Ich bin somit zusammen mit einem engagierten Team von Fachleuten für die Prozesse und Abläufe verantwortlich, die dem Regierungsrat das Regieren ermöglichen. Nun mögen vielleicht die Begriffe «Kanzlei» und «Schreiberin» den Eindruck von Amtsstuben-Beschaulichkeit oder – Gemächlichkeit erwecken. Das Gegenteil ist der Fall. Die Staatskanzlei ist ein modernes, dynamisches Führungs- und Dienstleistungszentrum mit einer ganzen Palette von wichtigen Aufgaben. Neben dem organisatorischen und administrativen Prozessmanagement für die Regierungssitzungen gehören die Abteilungen Rechtsdienst Regierungsrat, Strategie- und Aussenbeziehungen sowie Kommunikationsdienst des Regierungsrats dazu. Weiter sind wir für die Durchführung von Abstimmungen und Wahlen zuständig. Diese Breite von Aufgaben fasziniert mich und bringt täglich neue Herausforderungen.

    Was sind bis jetzt die Highlights, die Sie erlebt haben?
    Ich habe mein Amt Mitten in der Coronavirus-Pandemie angetreten und war als Staatsschreiberin schnell einmal zusammen mit weiteren Mitarbeitenden der Staatskanzlei stark ins kantonale Krisenmanagement involviert. Es war ein schnell rollender Zug, auf den ich in voller Fahrt aufspringen musste. Spannend für mich war auch, den Analyse- und Reflexionsprozess zu begleiten. Viele Lehren und Erkenntnisse flossen dabei direkt ins Management der nächsten grösseren Krise ein, die drohende Strom- und Gas-Mangellage. Zu den bisherigen Meilensteinen gehört sicher auch die Lancierung des Programms «Aargau 2030 – Stärkung Wohn- und Wirtschaftsstandort». Der Aargau hatte in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein überaus starkes Wachstum, das zwar zu mehr Steuereinnahmen führte, aber auch hohe Belastungen, hohe Infrastrukturkosten mit sich brachte. «Aargau 2030» soll dazu beitragen, diese strukturellen Herausforderungen zu meistern. Ein weiteres Highlight ist die Zusammenarbeit mit meinen vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen.

    Wie erleben Sie die Zusammenarbeit als einzige Frau mit fünf Männern?
    Für mich ist die Hauptsache, dass der Regierungsrat als Gremium gut funktioniert. Und das tut er, das kann ich mit Überzeugung sagen.

    Wie stehen Sie zur Frauenförderung in der Politik?
    Grundsätzlich ist es Aufgabe der Parteien, für Parität zu sorgen. Aber auch hier gilt, dass Persönlichkeit und Qualifikationen für ein Amt oder Mandat wichtiger sein sollten als das Geschlecht. Um ein ausgeglicheneres Geschlechterverhältnis zu bekommen, braucht es aber auch Frauen, die sich politisch engagieren und für Ämter aufstellen lassen. Das gilt auch für Führungspositionen in der Wirtschaft.

    Einer Ihrer Vorgänger als Aargauer Staatsschreiber kandidiert jetzt in Zürich als Regierungsrat. Haben Sie selber auch politische Ambitionen?
    Ich habe nicht die Absicht, mich parteipolitisch zu engagieren. Ich gehöre keiner Partei an und habe auch keine Pläne, einer beizutreten. Das ist aus meiner Sicht ein Vorteil für das Staatsschreiberinnen-Amt: als Parteilose ist es für mich leichter, auf das gesamte Parteienspektrum zuzugehen.

    Wie stark reden Sie mit bei der Regierungsratssitzung?
    Als Staatsschreiberin habe ich eine beratende Funktion für den Regierungsrat. Die Staatskanzlei kann – wie die Departemente – auch Anträge stellen und hat eigene Geschäfte, die ich in der Regierung vertrete. Ich kann auch bei Geschäften des Regierungsrats mitreden, gerade die Gesamt- oder Aussensicht, die wir von der Staatskanzlei haben, wird gern gehört. Ich äussere mich, wenn ich das Gefühl habe, ein wichtiger Aspekt sei übersehen worden oder vergessen gegangen.

    Regierungsratsfoto 2023: Staatsschreiberin Joana Filippi, Regierungsrat Stephan Attiger, Landstatthalter Dr. Markus Dieth, Landammann Jean-Pierre Gallati, Regierungsrat Alex Hürzeler, Regierungsrat Dieter Egli.

    Welche Bedeutung hat der Kanton Aargau in der Schweiz?
    Der Aargau ist bevölkerungsmässig der viertgrösste Kanton der Schweiz und nimmt auch bei der Anzahl Arbeitsplätze und Erwerbstätige eine Spitzenposition ein. Er trägt in verschiedenen Bereichen zum Wohlergehen und Wohlstand der Schweiz bei. Ich denke da an die Themen Verkehr, Logistik, Familienfreundlichkeit, bezahlbarer Wohnraum und, gerade sehr aktuell, Energie. Der Aargau gehört denn auch beim Krisenmanagement für eine allfällige Strom- und Gas-Mangellage zu den Taktgebern. Es ist kein Zufall, dass er als Standortkanton des immissionsträchtigen Reservekraftwerks in Birr im nationalen Interesse einmal mehr aussergewöhnliche Lasten trägt. Dies widerspiegelt sich nicht im Ressourcenindex des nationalen Finanzausgleichs, wo der Aargau zu den Nehmerkantonen gehört. Aber sein Beitrag an den Erfolg der Schweiz ist mindestens so wertvoll, wie die Beiträge jener Kantone, die vor allem auf günstige steuerliche Rahmenbedingungen für die Finanzwirtschaft fokussiert sind.

    Was sind die Leuchttürme des Kantons Aargau?
    Im Bereich Wissenschaft, Forschung und Bildung hat der Hightech-Kanton Aargau einiges zu bieten. Ich denke da natürlich ans Paul-Scherrer-Institut in Villigen/Würenlingen, das eine internationale Ausstrahlung hat und weltweit zu den bedeutendsten Forschungseinrichtungen im Bereich der Energie- und Lasertechnologie gehört. Und der Campus der Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg ist eines der schweizweit grössten Bildungszentren in diesem Bereich. Zu den Stärken des Aargaus gehört zudem, dass er neben den vielen Leuchttürmen auch viele kleinere und mittelgrosse Unternehmen, Institutionen, Organisationen usw. aufweist, die als Ganzes gemeinsam über eine mächtige Strahlkraft verfügen. Dann gibt es auch die in der kantonalen Kulturförderung definierten «Leuchtturm»-Institutionen wie zum Beispiel das Stapferhaus Lenzburg, das Künstlerhaus Boswil oder das Museum Villa Langmatt in Baden. Weiter haben das Aargauer Kunsthaus in Aarau sowie die von Museum Aargau betreuten Schlösser Lenzburg, Hallwil und Wildegg oder das römische Geschichtszentrum Vindonissa eine nationale Bedeutung.

    Was bedeutet für Sie persönlich der Kanton Aargau?
    Der Aargau ist mein Arbeitgeber, Arbeitsort, Wohnort und Lebensmittelpunkt. Seit dem Amtsantritt als Staatsschreiberin lerne ich ihn immer besser kennen und entdecke fast täglich neue Facetten seiner enormen Vielfalt. Zum Beispiel das schweizweit einzigartige Wellness- und Thermalbadangebot, die Fülle von Naherholungsräumen, die wirklich sehr nahe bei den Wohngebieten liegen, und auch kulinarisch-gastronomisches gibt es immer wieder Neues und Überraschendes zu entdecken. Man könnte sagen, dass der Aargau im Moment für mich auch ein grosses, spannendes Entdeckungsgebiet ist.

    Sie sind Co-Leiterin der Energie-Taskforce. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?
    Eine vom Bund in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass gemäss aktuellen Einschätzungen für das Winterhalbjahr 2022/23 eine Strom- und Gas-Mangellage wahrscheinlich vermieden werden kann. Die empfohlenen und angeordneten Energiesparmassnahmen und getroffenen Vorkehrungen sind aber nach wie vor notwendig, um die stark belastete Energieversorgung stabilisieren und verbleibende Risikoszenarien meistern zu können. Der Regierungsrat hat deshalb beschlossen, das kantonale Krisenmanagement aufrechtzuerhalten, insbesondere auch im Hinblick auf die sich in den Folgewintern abzeichnenden Engpässe bei der Energieversorgung.

    Wie gut ist der Aargau auf eine Strom- und Gas-Mangellage vorbereitet?
    Wir sind gut vorbereitet, es gibt andere Kantone, die auf den Aargau blicken und schauen, was wir als Energiekanton machen. Wir haben zum Beispiel definiert, welche systemkritischen Aufgaben der Kanton im Falle von länger dauernden Stromabschaltungen oder – ausfällen noch erfüllen kann, um die Grund- und Notversorgung sowie die Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit des Regierungsrats und der Krisenorganisation aufrechtzuerhalten. Zudem ist der Kantonale Führungsstab in unsere Task Force integriert, es gibt Arbeitsgruppen, die sich mit der Wirtschaft und den Gemeinden austauschen und wir haben die Energiesparfuchs-Kampagne gestartet.

    Was wünschen Sie sich für den Aargau für das neue Jahr?
    Das, was man der Schweiz, Europa, der ganzen Welt wünschen kann, wünschen muss. Dass die aktuellen Kriege, Konflikte und Krisen, ich denke da natürlich vor allem auch an den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, möglichst schnell beruhigt oder gar beendet werden können, damit wieder eine Art von Normalität einkehren kann. Und die Menschheit, die Politik, sich wieder auf jene Herausforderungen und Chancen konzentrieren können, die uns weiterbringen und eine aktive Gestaltung unserer Zukunft ermöglichen.

    Interview: Corinne Remund


    Joana Filippi leitet zuvor zehn Jahre lang die Abteilung Public Affairs der Flughafen Zürich AG. Die 55-Jährige ist Bürgerin von Thayngen (SH) und Bergamo (TI), sie wohnt heute in Baden. Sie studierte an der Universität Konstanz (D) Verwaltungswissenschaft, an der University of Warwick, Coventry (GB), International Political Economy (Masterabschluss) sowie an der Universität St. Gallen Business Administration (Executive MBA HSG).

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