«Noch dreht das Karussell …»

    Die Lage ist ernst in der Branche der Markthändler. Doch der Verband setzt alle Hebel in Bewegung, um ein ewiges Lichterlöschen zu verhindern, damit das Kulturgut Jahrmarkt auch in Zukunft Bestand hat. Ziel und Herausforderung sind eine national breit abgestützte Lobby.

    (Bild: pixabay) Eine ungewisse Zukunft: die Branche kämpft, um das Gewerbe am Laufen zu erhalten.

    Gerade jetzt in der bald kälteren Jahreszeit sind die verschiedenen Herbst- und Adventsmärkte mit ihrer einzigartigen Atmosphäre der grosse Publikumsmagnet – wenn sie denn stattfinden würden. Weder Warenhäuser, Shoppingcenter noch online-Shopping haben den Markt als Urform des Handels in der heutigen schnelllebigen Zeit verdrängen können. «Früher diente der Warenmarkt der Grundversorgung in ländlichen Gegenden, während heute der kulturelle Aspekt im Vordergrund steht», erklärt Jürg Diriwächter, Präsident des Schweizer Marktverbandes. Und er doppelt nach: «Waren- und Jahrmärkte sind ein Einkaufserlebnis unter freiem Himmel. Dabei haben die Markthändler den direkten Kontakt zu Kundinnen und Kunden und können so deren Bedürfnisse nachkommen. Dies bedingt allerdings, dass unsere Mitglieder bezüglich Markthandel immer auf dem neusten Stand sind.»

    Gerade mit der zunehmenden Digitalisierung bekommen Märkte wieder eine neue Bedeutung. Der soziale Aspekt, der sogenannte service publique, spielen eine wichtige Rolle. Der Markt ist ein zentraler Ort, wo der Mensch im Mittelpunkt steht. Diriwächter, selber ein leidenschaftlicher Marktfahrer, sieht den Markt noch als ein Ganzes: «Häufig kommt zum speziellen Einkaufserlebnis die Unterhaltung mit Chilbibetrieb.» Wie die meisten Marktfahrer führt auch er seinen Beruf leidenschaftlich aus: «Von uns wird nicht nur qualitativ hervorragende Arbeit verlangt, wir sind auch Seelsorger und Ratgeber.» In einer am stärksten kontrollierten Branche, ist Qualität und sorgfältiges Arbeite ein überlebenswichtiges Gütesiegel. «Wir sind von unsrem Ruf abhängig, eine gute Mund-zu-Mund-Bewerbung sichert unser langfristiges Überleben.» Trotz seiner Faszination für den Markthandel will Diriwächter sein Metier nicht glorifizieren: «Wir arbeiten sehr hart. Es gibt oft sehr lange Anfahrtswege dann gilt es Ware einladen, ausladen und den Abbruch besorgen. Zusammen mit Warenbewirtschaftung, Buchhaltung und anderen Büroarbeiten ergibt das eine grosse Belastung – ein 14-Stunden-Arbeitstag ist für viele von uns keine Ausnahme.» Ebenso sollten sich Marktfahrer regelmässig weiterbilden beispielsweise in Seminaren der Marktbehörden zu neuen Vorschriften oder im Bereich der Arbeitssicherheit.

    Krise als Chance nutzen
    Der Verband setzt sich gerade in der Corona-bedingt äusserst schwierigen Situation (vgl. Nebenartikel) mit grossem Engagement für die Mitgliederanliegen ein und sorgt dafür, dass das «Zmärit ga» weiterhin bestehen bleibt. Obwohl die ortansässige Bevölkerung und die Behörden dem Markt gegenüber wohlwollend gesinnt sind, muss sich der Verband dafür stark machen, dass die Rahmenbedingungen nicht schlechter werden. Dazu gehört der Kampf für zahlbare Standgebühren genauso wie die Verhinderung von weltfremden bürokratischen Vorschriften. «Wir fordern gleich lange Spiesse für alle – das heisst wir wollen gleich behandelt werden wie beispielsweise Shoppingcenter», konkretisiert Diriwächter. Allerdings ist es gemäss dem SMV-Präsidenten oft eine Herausforderung, Bund und Kantone von den Bedürfnissen und Forderungen des Marktgewerbe zu überzeugen. «Wir haben auf nationaler Ebene keine Lobby. Das musste wir in der aktuellen Corona-Krise einmal mehr feststellen.»

    Dennoch fordert Diriwächter seine Berufskolleginnen und -kollegen auf, die Krise als Chance zu nutzen und durchzuhalten: «Unser kulturelle Tradition muss allen Widerwärtigkeiten zum Trotz weiterleben.» Der Verband will den Kontakt zu den örtlichen Marktbehörden, welche die Standplätze vergeben, weiter pflegen und noch verbessern, um optimale Voraussetzungen für die Präsentation der Angebote seiner Mitglieder zu erhalten. «Grundsätzlich wollen wir uns in der Politik und der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit für unseren Berufsstand verschaffen – so auch im Schweizerischen Gewerbeverband sgv, mit dem wir als Mitglied angehören und mit dem wir gut zusammenarbeiten». Und er ist zuversichtlich, «noch dreht das Karussell trotz Corona».

    Corinne Remund


    «Es wird ein harter Winter»

    Die Pandemie lassen im Markthandel sämtliche Einnahmen einbrechen – ein existenzbedrohender Albtraum für viele.

    (Bild: pixabay) Kein Zuckerlecken mehr: Für viele Marktfahrer geht es um die Existenz.

    Eine Absage nach der anderen: Knabenschiessen, Olma, Herbstmesse Basel. Ziebelmärit Bern – alles gestrichen. «Die meisten unserer Mitglieder haben seit Mitte März – als es für uns eigentlich wieder los gehen sollte – 100 prozentige Einbussen zu verzeichnen und arbeiten nicht», sagt Jürg Diriwächter, Präsident Schweizerischer Marktverband. Und er ergänzt: «Die Situation ist dramatisch. Wir haben keine Planungssicherheit, es werden mehr Märkte, Chilbis und Messen abgesagt als stattfinden.» Die Marktfahrer und Schausteller stehen vor einem grossen Problem: Trotz der weitgehenden Lockerungen der Covid-Einschränkungen und der Aufhebung der 1000er-Grenze für Grossveranstaltungen sind die Verdienstmöglichkeiten im Markthandel praktisch nicht vorhanden. «Wir haben ein Schutzkonzept ausgearbeitet und Märkte dürften auch stattfinden, allerdings die Gemeinde davon zu überzeugen ist sehr schwierig. Die meisten Märkte werden abgesagt», weiss Diriwächter.

    Erwerbsausfall und Kurzarbeit greifen schlecht oder gar nicht
    Das wirtschaftliche Ausmass ist enorm. Die sechs Dachverbände der Marktfahrer und Schausteller – darunter auch der SMV – beziffern die Gesamtsumme der Jahrmärkte und Chilbis auf mehr als 680 Millionen Franken. Allein die Basler Herbstmesse – mit rund 11 Millionen Besuchern das grösste Volksfest der Schweiz – erwirtschaftet eine Wertschöpfung von über 100 Millionen Franken. Insgesamt sind mit allen Saisonarbeitern und Zulieferer in diversen Bereichen mehr als 10’000 Menschen von den Absagen betroffen. Erschwerend kommt hinzu: Die Erwerbsausfallentschädigung wird anhand des steuerlichen Einkommens berechnet. Die meisten Markthändler sind Einzelfirmen und das private und geschäftliche Einkommen und Vermögen wird nicht getrennt. Daher haben die meisten keinen Anspruch auf die Erwerbsausfallentschädigung, da die Obergrenze dieser Leistung bei 90000 Franken liegt. Oder die EO-Entschädigung, die noch bis Ende 2020 verlängert wurde, reicht nicht einmal, um die Fixkosten zu decken. «Schausteller haben zum Teil horrende Fixkosten für Hallenmiete und Leasing der Bahnen», so Diriwächter.

    Der Bund tut sich schwer
    Für viele Marktfahrer- und -händler geht es um die Existenz. Gemäss Diriwächter verkaufen einige schon ihre Zugfahrzeuge, um finanziell einigermassen über die Runden zu kommen. «Der Bund tut sich schwer mit unserer Branche. Das Geld wird bei vielen Berufskollegen nicht bis Ende Jahr reichen. Ohne Unterstützung werden viele Markthändler und Schausteller das Geschäft noch vor dem Jahresende aufgeben müssen», prognostiziert Diriwächter. «Oder sie suchen sich ein anderes zusätzliches Standbein, sonst überleben sie nicht.» Diriwächter hofft, dass die EO-Zahlungen an die Selbstständigen bis Ende März 2021 verlängert werden. «Doch auch so wird es ein harter Winter. Denn viele Christchindli-Märkte werden ausfallen und Ende November beginnt für viele die Winterpause.»

    CR


     

    DAS MACHT DER SMV

    Eine Stimme bei den Behörden
    Der Verband zählt rund 650 aktive Mitglieder. Dazu gehören vom Kleinstunternehmern über KMU bis zu AG- oder GmbH-Besitzer. Rund 2700 Personen sind im Markthandel beschäftigt. Die Branche generiert mit allen Teilzeitarbeitenden und Stundenlöhner rund 4900 Arbeitsplätze und macht einen jährlichen Umsatz von 312 Millionen Franken.

    www.smv.ch

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